Was bei einer umsatzsteuerfreien EU-Lieferung an andere Unternehmen (B2B = Business to Business) zu beachten ist: Darum ging es in meinem vorigen Beitrag. Möglicherweise haben Sie sich beim Lesen schon gefragt, wie es sich denn mit Lieferungen von Unternehmen (also im Zweifel Sie) an Endkunden (B2C =Business to Business) verhält. In diesem Beitrag erläutere ich die wichtigsten Begriffe im Einzelnen und liefere Ihnen einen Überblick über die neuen Regelungen ab Juli 2021 im B2C-Verkehr.
Grundregel: Umsatzsteuer entsteht am Lieferort
Eine Lieferung B2C wird dort bewirkt, wo die Lieferung endet. Verkaufen Sie also einen Gegenstand aus Ihrem Geschäft heraus an einen Abnehmer in Venlo und wird dieser Gegenstand dann nach Venlo transportiert, so entsteht die Umsatzsteuer ab dem 1. Juli 2021 in den Niederlanden.
Versenden Sie beispielsweise nach Prag, entsteht die Umsatzsteuer in Tschechien, versenden Sie nach Warschau, entsteht die Umsatzsteuer in Polen und so weiter. Dies klingt zunächst ganz einfach, erzeugt aber bei genauem Hinsehen doch Unannehmlichkeiten.
Wenn nämlich beipielsweise Ihre EU-Auslands-Umsätze in den Niederlanden, in Tschechien, in Polen etc. umsatzsteuerpflichtig werden, so erkennen Sie schon völlig richtig: Sie müssen die Umsatzsteuer des anderen Staates ausweisen. Und Sie wissen: Wer Umsatzsteuer ausweist, muss diese auch abführen.
Ergebnis: Sie müssen sich für umsatzsteuerpflichtige Zwecke in den vorgenannten Fällen also in den Niederlanden, in Tschechien und in Polen registrieren lassen, dort Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgeben und die Umsatzsteuer an diese Staaten abführen. Ohne Übertreibung kann man sagen: Das ist der Tod des internationalen Warenhandels mit Privatpersonen.
Sie werden es kaum glauben: Dies hat sogar die EU erkannt. Und neben den wirklich ganz drängenden Problemen unserer Zeit hat es unser Staat geschafft, knapp vor Toresschluss eine entsprechende gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, die Ihnen das Leben tatsächlich erleichtert.
Die Lösung heißt: OSS-Verfahren (One-Stop-Shop).
Was ist das OSS-Verfahren?
Die Umsätze, die Sie im B2C-Bereich mit allen EU-Staaten erzielen, werden zentral über das Bundesamt für Steuern gemeldet. Dieses Bundesamt vereinnahmt die fällige ausländische Steuer und verteilt die Beträge an die Staaten, in denen die Umsätze erwirtschaftet wurden.
Vorteil: Sie brauchen sich nicht in den einzelnen Staaten umsatzsteuerlich registrieren zu lassen, dort Umsatzsteuer-Voranmeldungen abzugeben, dorthin Zahlungen zu leisten. Dies ist eindeutig eine erhebliche Erleichterung.
Das neue OSS-Verfahren ist eine Wahlmöglichkeit. Selbstverständlich steht es Ihnen frei, sich in jedem dieser einzelnen Staaten registrieren zu lassen, dort Erklärungen abzugeben, dorthin Zahlungen zu leisten. Der bürokratische und sprachliche Aufwand wäre enorm, deshalb raten wir dringend davon ab. Stattdessen empfehlen wir, sich für das neue Verfahren zu registrieren.
Eine weitere Erleichterung besteht darin, dass voraussichtlich die Meldung gem. OSS-Verfahren von bestimmten Stellen (z.B. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) für alle teilnehmenden Mandanten durchgeführt werden kann.
Welche Unternehmer sind betroffen?
Betroffen sind grundsätzlich alle Unternehmer, welche Waren in das EU-Ausland verkaufen,
- egal, ob gelegentlich oder ständig
- egal, ob in direktem Verkehr oder über elektronische Marktplätze (Ebay etc.)
- egal, ob Handelsware oder z. B. Verkauf von Anlagevermögen
Einzig entscheidend ist, dass die Ware in das Ausland gelangt. ACHTUNG: Hat beispielsweise ein Niederländer ein Privathaus in Deutschland und liefern Sie an diese Adresse Waren, so bleibt es bei der deutschen Besteuerung: Die Ware verlässt nicht Deutschland.
Was müssen Sie nun beachten?
Der Umsatz im B2C-EU-Verkauf wird am Ende der Lieferung bewirkt, also bei einer Lieferung zum Beispiel nach Venlo in den Niederlanden. Sie haben niederländische BAT auszuweisen, auf keinen Fall deutsche Umsatzsteuer.
Sie werden sich an dieser Stelle berechtigterweise fragen, welche Umsatzsteuer-Sätze denn in Europa gelten. Auf Anfrage senden wir Ihnen gerne eine Übersicht. Sprechen Sie uns an!
Hier ist zu erkennen: Es ist ein noch schlimmerer Flickenteppich als die Corona-Maßnahmen in Deutschland waren. Staaten verfügen teilweise nicht nur über 2, sondern bis zu 4 verschiedene Umsatzsteuer-Sätze. Im Regelfall werden Sie nicht verderbliche Ware im Fernabsatz verkaufen, also gilt meist der „normale“ Umsatzsteuer-Satz. Dies ist der Satz, der in Deutschland 19 % entspricht. Sie müssen also an den Niederländer bei einem Verkauf nach Venlo niederländische Umsatzsteuer mit 21 % in Rechnung stellen.
Achtung: Die Rechnungserstellung ist wichtig!
Würden Sie beispielsweise bei einem Verkauf nach Venlo deutsche Umsatzsteuer in Rechnung stellen, so verhindert die deutsche Umsatzsteuer nicht die Erhebung der niederländischen Umsatzsteuer. Sie zahlen also die deutsche Umsatzsteuer an den deutschen Fiskus, weil Sie diese – unberechtigt – in Rechnung gestellt haben, und die niederländische Umsatzsteuer an den niederländischen Fiskus, weil Sie diese kraft Gesetz schulden.
Wie Sie das in Ihr Rechnungs-Programm integrieren können, ist eine andere Frage: Ich gehe davon aus, dass eine Vielzahl von Programmen nicht in der Lage ist, die Regelung umzusetzen.
Daher kann es als Notlösung erforderlich werden, eine Rechnung mit programmmäßig deutscher Umsatzsteuer 0 % zu erzeugen und in die letzte Zeile der Leistungsbeschreibung / der Aufführung Ihrer Lieferung beispielsweise „niederländische Umsatzsteuer zu 21 %“ zu vermerken und den Betrag manuell auszurechnen.
Wie läuft die Bearbeitung im Steuerbüro ab?
Aufgrund dieser Angabe in der Rechnung werden wir für unsere Mandanten eine entsprechende Erfassung mit dem Umsatzsteuer-Satz des jeweiligen Bestimmungslandes in Ihrer Buchführung vornehmen, eine entsprechende Meldung an das Bundesamt für Finanzen erstellen und Ihnen den Zahlbetrag mitteilen. Ein Lastschrifteinzug ist derzeit nicht möglich (!).
Offenbar ist diese neue EU-Regelung schlagartig in den letzten Wochen vom Himmel gefallen, denn unsere Finanzverwaltung sah sich nicht in der Lage, eine elektronische Schnittstelle zwischen den gängigen Buchhaltungsprogrammen (z.B. DATEV, STOTAX, Lexware) und dem Bundesamt für Steuern bereitzustellen. Mal sehen, ob dies irgendwann noch folgt.
Bis dahin behelfen wir uns also mit Listen aus dem DATEV-Programm und einer manuellen Erstellung der Meldung an das Bundesamt.
Die vorstehende Regelung gilt sinngemäß auch für folgende Leistungen:
- Telekommunikations-, Rundfunk-, Fernseh- und elektronische Dienstleistungen (bisherige MOSS-Umsätze). Die meisten von Ihnen werden diese Fälle vernachlässigen können.
Für die übrigen sonstigen Leistungen (also Leistungen, die nicht in einer Lieferung bestehen), bleibt es bei den bisherigen Regelungen. Das heißt eine sonstige Leistung wird regelmäßig dort erbracht, wo der leistende Unternehmer (also im Zweifel Sie) sein Unternehmen betreibt, also in Deutschland.
Häufigste Ausnahme sind die Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, diese werden am Belegenheitsort des Grundstückes ausgeführt. Plant also ein deutscher Architekt für einen deutschen Auftraggeber ein Ferienhaus in Domburg/Niederlande, so ist diese Leistung ebenfalls in den Niederlanden umsatzsteuerpflichtig, weil sie in Zusammenhang mit dem Grundstück steht.
Aus dem neuen OSS-Verfahren ergibt sich umgekehrt für Sie – sofern Sie eine Ware aus dem EU-Ausland als Privatperson beziehen: Sie werden eine Rechnung von einem beispielsweise luxemburgischen Lieferanten mit deutscher Umsatzsteuer erhalten.
Wichtige Ausnahme für Online-Händler, die z.B. über Amazon verkaufen
Nutzen Sie in diesem Zusammenhang Fulfillment-Strukturen im EU-Ausland, z.B. Amazon FBA, müssen Sie sich weiterhin in den jeweiligen Ländern registrieren und dort Ihre Umsatzsteuer-Voranmeldungen einreichen. Für andere, nicht Fulfillment-Umsätze können Sie OSS nutzen.
Diese vorgenannten Regelungen gelten auch für Kleinunternehmer
Sind Sie nach deutschem Recht Kleinunternehmer und brauchen keine Umsatzsteuer auszuweisen, so haben Sie dennoch ausländische Umsatzsteuer auszuweisen, wenn Sie bspw. in die Niederlande liefern.
Entscheidend ist das Ende der Lieferung
Betritt beispielsweise ein Luxemburger Ihren Laden, um dort einen Gegenstand zu kaufen, so erfolgt die Lieferung über die Theke und endet in diesem Moment in den Händen Ihres Kunden. Ergebnis: Steuerpflicht in Deutschland.
Nehmen wir den gleichen Fall und Sie haben den betreffenden Gegenstand leider nicht vorrätig und der Luxemburger ersucht Sie freundlich, ihm die Ware nach Luxemburg zu senden, so zücken Sie bitte schnell die beiliegende Aufstellung, stellen fest, dass Sie luxemburgische Umsatzsteuer mit 17 % abzurechnen haben und erteilen Ihrem Kunden also die Rechnung oder den Beleg mit 17 % Umsatzsteuer.
Wie ist zu verfahren, wenn Ihr luxemburgischer Kunde Ihnen erklärt: „Ich nehme die Ware mit nach Luxemburg“?
Beförderung oder Versendung ist die Bewegung der Ware. Diese kann auch durch Abholen geschehen. Während Sie aber bei der Versendung durch eine Spedition/DHL einen Nachweis über das Gelangen ins EU-Ausland haben, ist dies natürlich bei der Mitnahme nach Luxemburg nicht der Fall.
Übrigens dürfte der Luxemburger einer der Wenigen sein, der Ihnen überhaupt mitteilt, dass er die Ware in sein Heimatland mitnimmt: Denn Luxemburg ist einer der wenigen EU-Staaten, die einen geringeren MWSt-Satz haben als Deutschland. Mit der Besteuerung nach luxemburgischer Umsatzsteuer stünde sich der Luxemburger also etwas besser als bei der Besteuerung mit deutscher Umsatzsteuer.
Niemals werden Sie dieses Problem bei einem Ungarn (27 % Umsatzsteuer) oder bei einem Finnen ( 24 % Umsatzsteuer) haben.
Wie ist nun vorzugehen?
Auf jeden Fall lassen Sie sich im Falle der behaupteten Mitnahme in das (umsatzsteuerlich preiswertere) EU-Heimatland Ihres Kunden die deutsche Umsatzsteuer bezahlen. Sendet Ihnen nach Rückkehr an seinen Wohnort Ihr EU-Kunde einen Nachweis über das Gelangen Ihrer Ware z.B. nach Luxemburg, können Sie ihm gerne die Differenz zu den luxemburgischen 17 % erstatten. So lange Sie diesen Nachweis über das Gelangen nicht haben, schulden Sie im Zweifel die deutsche Umsatzsteuer. Allein die bloße Behauptung: „Ich nehme diesen Gegenstand mit nach Luxemburg“, genügt leider nicht. Der Kunde sollte mindestens bestätigen, dass er die Ware dorthin mitgenommen hat. Das kann er notwendigerweise erst nach Rückkehr tun.
Und Sie ahnen es schon: Heben Sie Nachweise für den Export in ein anderes EU-Land sorgfältig auf, am besten zusammen mit der Rechnung.
Bleibt eigentlich nur noch die Frage zu klären: Wie ist es nun, wenn Ihr Kunde die Ware in ein Drittland, also nicht EU geliefert haben möchte? In diesem Fall brauchen Sie den Nachweis, dass die Ware zum Beispiel nach Moskau gelangt ist, denn hier ist es genauso: Der Ort der Lieferung bestimmt sich danach, wo die Lieferung endet, also im Drittland. Aber: Sie brauchen keine russische Umsatzsteuer (20%) in Rechnung zu stellen. Ihr russischer Kunde wird russische Einfuhrumsatzsteuer und vermutlich auch Zoll entrichten müssen.
Sofern Sie ein System wie Afterbuy nutzen, gehe ich davon aus, dass dieses System in der Lage ist, die neuen Regelungen problemlos zum 1 Juli 2021 umzusetzen.
Wichtig: Unsere Mandanten erhalten von uns eine Erklärung, dass wir von ihnen beauftragt sind, das OSS-Verfahren für Sie anzuwenden.
Für Fragen und Anmerkungen stehen wir Ihnen wie gewohnt zur Verfügung.
Ihr Steuerberater
Harald H. Houben